Die europäische Bevölkerung wird immer älter. Ein Teil der Fachkräfte, die zur Aufrechterhaltung der europäischen Wirtschaft benötigt werden, wird durch die Zuwanderung aus Drittländern kommen müssen. Die Kommission versucht dies mit einer Reihe von Vorschlägen zu erleichtern.
Sowohl ein Vorschlag zur leichteren Überprüfung von Abschlüssen aus Drittländern als auch die Schaffung eines EU-Talentpools sind in diesem Jahr von der EU-Kommission zu erwarten.
Handeln scheint notwendig. Die EU-Beschäftigungszahlen sind so hoch wie nie zuvor, seit die EU-Statistikbehörde Eurostat 2009 mit der Veröffentlichung dieser Daten begonnen hat. Im dritten Quartal 2022 lagen sie bei 74,7 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Dennoch klagen Wirtschaftsverbände über einen Mangel an Arbeitskräften.
Und die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter ist rückläufig. Im Jahr 2021 gibt es 5,4 Millionen weniger Menschen im Alter von 20 bis 64 Jahren als 2013 – ein Rückgang von rund 2 Prozent innerhalb von acht Jahren.
Begrenzte Kompetenzen, begrenzter Erfolg
Zusätzlich zu dem demografischen Wandel stellt auch die Digitalisierung und die Dekarbonisierung die Wirtschaft vor großen Herausforderungen. Aber selbst wenn die dadurch notwendigen Umschulungen reibungslos vonstattengehen würden, wäre trotzdem eine hohe Zahl von zusätzlichen Einwanderern nötig – zumindest wenn man die heutige wirtschaftliche Produktivität halten will.
„Wenn wir weiterhin wohlhabende Gesellschaften haben wollen, müssen wir Platz für die Einwanderung aus Drittländern schaffen“, sagte Maxime Cerutti, Direktor der Abteilung für soziale Angelegenheiten bei Business Europe, gegenüber EURACTIV.
Er warnte jedoch, dass die EU „sicherstellen muss, dass es in der Gesellschaft Unterstützung für die Migration gibt“ und plädierte für eine stärkere Konzentration auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes, wenn es um die Migration geht.
Der Erfolg der EU bei der Anwerbung und Nutzung von Talenten aus Drittländern war bisher jedoch begrenzt.
So wurde 2011 eine sogenannte „EU Blue Card“ eingeführt, um hochqualifizierte Arbeitskräfte anzuziehen. Die Karte würde ihrem Inhaber erlauben, in jedem EU-Land zu arbeiten und zu leben, wobei die Akzeptanz für dieses Projekt nach wie vor sehr gering ist.
Im Jahr 2021 wurden nur etwa 29.000 Blue Cards in der EU ausgestellt, zwei Drittel davon in Deutschland.
Das ist nicht allein die Schuld der EU, da die Mitgliedstaaten ihre Einwanderungspolitik immer noch weitgehend selbst bestimmen und die EU keinen Mitgliedstaat zwingen kann, mehr Einwanderung zu akzeptieren.
EU-Talentpool
Da die Kommission sich dieser Grenzen bewusst ist, konzentriert sie sich stärker auf die Erleichterung der Einwanderung in den Arbeitsmarkt.
So will die Kommission beispielsweise „Talentpartnerschaften“ mit Ägypten, Tunesien und Marokko einrichten.
Die Zusammenarbeit zwischen Behörden, Unternehmen und Bildungsanbietern soll nach Ansicht der Kommission dazu beitragen, Qualifikationslücken in Europa zu schließen. Eine Bewertung ähnlicher Pilotprojekte hat jedoch gezeigt, dass solche Projekte ein hohes Maß an Koordination erfordern und schwer zu skalieren sind.
Eine Lösung, die in größerem Maßstab funktionieren könnte, ist der „EU Talent Pool„, den die EU-Kommission in diesem Jahr umsetzen möchte.
Dieser europäische Talentpool ist eine Online-Plattform, auf der angehende Migranten ihre Lebensläufe hochladen und ihre Fähigkeiten europäischen Arbeitgebern, nationalen Arbeitsvermittlungen und privaten Arbeitsvermittlern anbieten können.
Im Oktober 2022 startete die EU-Kommission ein Talentpool-Pilotprojekt, das sich an vom Krieg flüchtende Ukrainer richtete. Bislang nehmen nur wenige EU-Mitgliedstaaten an dem Programm teil, aber laut der Website des Pilotprojekts scheinen mehr als 4.000 Arbeitgeber auf der Plattform eingeschrieben zu sein.
Für Cerutti von Business Europe ist der EU-Talentpool eine vielversprechende Initiative, da er den Arbeitgebern direkten Zugang zu möglichen Bewerbern verschaffen würde.
Qualifikationen anerkennen
Doch selbst wenn Arbeitgeber Zugang zu möglicherweise interessierten Kandidaten haben, kann die tatsächliche Beurteilung der Fähigkeiten potenzielle Mitarbeiter schwierig ausfallen.
Die Kommission plant daher eine neue Initiative zur „Erleichterung der Anerkennung von Drittstaatsangehörigen“.
Die Nichtanerkennung von Qualifikationen aus Drittländern hindert Europa daran, sein großes Arbeitsmarktpotenzial zu nutzen.
„Eine Möglichkeit, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, wäre die Vereinfachung der Qualifikationsverfahren und die Nutzung der Fähigkeiten von Migranten und Flüchtlingen, die sich bereits in der EU aufhalten“, sagte Sinem Yilmaz, politischer Analyst bei der Migration Policy Group, gegenüber EURACTIV.
„Viele Migranten sind für ihre Jobs überqualifiziert und die europäischen Arbeitgeber haben Schwierigkeiten, Menschen mit den benötigten Fähigkeiten zu finden.“
Die Anerkennung von Qualifikationen aus Drittländern zu vereinfachen, wird jedoch nicht einfach sein. Selbst innerhalb der EU erschweren Probleme bei der gegenseitigen Anerkennung von Qualifikationen die Mobilität der Arbeitskräfte, zum Beispiel bei Lehrern.
Und es gibt noch ein weiteres Problem: Damit die europäische Wirtschaft von den Fähigkeiten und der Arbeitskraft von Drittstaatsangehörigen profitieren kann, müssen diese auch tatsächlich in der EU leben wollen.
„Eine engstirnige Politik, die sich ausschließlich auf die Anwerbung von Fachkräften von außerhalb der EU konzentriert, um den Fachkräftemangel zu beheben, wird nicht funktionieren, wenn die Mitgliedstaaten nicht zuerst eine den Migranten gegenüber gastfreundliche Gemeinschaft sorgen“, warnte Yilmaz.
Quelle : Euractiv