Kroatien führt zum 1. Januar den Euro ein und tritt dem Schengenraum bei. Das Tourismusgewerbe und die Industrie begrüßen dies. Die Bevölkerung im Balkanstaat begegnet zumindest dem Euro mit vorsichtiger Hoffnung auf bessere Zeiten.
Unterwegs im Zug von München nach Zagreb, die Fahrt durch das ländliche Oberbayern, verschneite Bergtäler in Österreich und durch das an Wäldern reiche Slowenien. Dann: längerer Halt in Dobova, die Türen öffnen sich, einige Reisende vertreten sich die Beine auf diesem Bahnhof an der slowenisch-kroatischen Grenze. Sie wissen, was kommt.
In Dobova wird nicht nur die Lok gewechselt. Die Polizei kontrolliert Ausweise. Und das kann dauern, wie Zjelko und Ante aus Erfahrung wissen. Ein bis zwei Stunden mitunter im Sommer. Sie hätten sogar einmal vier, fünf Stunden gewartet.
Kontrolle und Warten
Die Brüder fahren die Strecke oft. Genau wie Igor, ein freundlicher Schwabe mit Familie und Geschäftskontakten in Kroatien. Er erinnert sich an die Zeit vor dem EU-Beitritt 2013. Damals, als der Zoll noch kontrolliert habe, seien die Kontrollen viel strenger gewesen.
Jetzt sei alles “entspannt”. Aber dennoch intensiv und zeitaufwendig: Vier Polizisten mit schusssicheren Westen sind es diesmal, die um Pässe bitten, Visa begutachten, per Funk Informationen abfragen, Papiere stempeln.
2023 – ein besonderes Jahr für Kroatien
Ankunft Zagreb. Überall Menschen und Musik, Fans und Fahnen in Rot-Weiß-Blau. Zehntausende feiern die Rückkehr der Fußballnationalmannschaft, nach deren starken Leistungen und Platz drei bei der WM in Katar. Auf dem zentralen Ban-Jelačić-Platz sind Jubel und Gedränge am größten.
An einer Hausfassade: Vier meterhohe leuchtende Ziffern bilden die Jahreszahl “2023”. Es ist nicht nur ein besonderer Moment für das Land, es wird auch ein besonderes Jahr für Kroatien. Das Euro-Schengen-Jahr sozusagen.
Preise in zwei Währungen
Die Waren in den Schaufenstern der Geschäfte sind jetzt schon doppelt ausgeschrieben, in der Landeswährug Kuna – und auf den Cent genau in Euro. Das soll die Umstellung erleichtern, vor Abzocke schützen. Verkäufer, die zu sehr aufrunden, sollen auf einer schwarzen Liste landen – Verbraucherschutz.
Doch was sagen die Verbraucher eigentlich dazu, dass der Euro die Kuna ersetzt? Eine Marktkundin sagt, es sei ein wenig schade, aber der Euro bringe viele Vorteile. Außerdem habe dies jemand entschieden und “wir können nur hoffen, dass es gut sein wird”.
Gehälter und Renten sind im EU-Vergleich sehr niedrig
Entschieden haben es die EU-Institutionen und davor die kroatische Regierung mit dem Proeuropäer Andrej Plenković von der nationalkonservativen Partei HDZ an der Spitze. Und die Hoffnung der Marktkundin, dass der Euro “gut sein wird”, teilen die anderen rund 3,9 Millionen Menschen im Land. Das Nettogehalt liegt im Schnitt unter 1000 Euro, Renten gerade mal bei 200, 300 Euro und damit weit unter denen in Deutschland. Lebensmittel, Kleidung und Reisen sind aber mitunter kaum billiger.
Noch nie war eine Euro-Einführung von solchen weltwirtschaftlichen Verwerfungen begleitet. Ukraine-Krieg, Inflation, Lieferkettenengpässe. Im November lag die Teuerungsrate in Kroatien bei über 13 Prozent. Hilfs- und Entlastungspakete fielen im Vergleich zu denen in Deutschland eher klein oder ganz aus.
Unweit eleganter Boutiquen trotzen Obstverkäufer und Blumenhändlerinnen der Kälte. Einer sagt, der Euro sei “definitiv schlecht”, er mache alles teurer, so sei es in Deutschland und Österreich auch gewesen. Ein anderer Verkäufer sagt: Er habe Verwandte in Deutschland und Österreich, für sie werde alles einfacher.
Die Tourismusindustrie hofft auf neue Märkte
Besuch bei Kristjan Staničić, dem Chef des kroatischen Tourismusverbandes. Staničić empfängt in einem Raum, an dessen Wänden Bilder Kroatien von seiner schönsten Seite zeigen: türkisblaues Meer, einsame Strände. Und all das so nahe, wie Staničić betont. Kroatien sei mit dem Auto erreichbar, lohne selbst für Kurzurlaube. Man möchte neue Märkte erschließen. Öko- und Kulturtourismus, mehr Kurzurlauber, bessere Gastronomie, vollere Unterkünfte auch abseits der Sommersaison.
Vor allem die Deutschen kommen gern. Gut 24,5 Millionen Übernachtungen gab es in den ersten elf Monaten 2022 – starke Zuwächse im Vergleich zum letzten Vor-Corona-Jahr 2019. Andere Mittelmeerländer seien nicht so schnell zurück in die Spur gekommen, sagt Staničić.
Der Euro ist fast allen vertraut
In Informationsbroschüren und mit Radiospots werden Regierung und Nationalbank für die neue Währung. Dennoch wirkt es nicht so, als bräuchte irgendwer Anschauungsmaterial. Der Euro ist allen vertraut, seit Jahren ist er wichtige Devisenreserve und inoffizielle Zweitwährung, Dennoch: Eigentlich sei das Land nicht wirklich bereit für den Euro, sagt die Ökonomin Maruška Vizek.
Das habe mit strukturellen Problemen zu tun. Zwar sei das Kroatien sicher, sauber, habe einige konkurrenzfähige Firmen, etwa in der Logistikbranche. Doch seien die Löhne zu niedrig und der Tourismus allein ein schwaches Standbein.
Zudem leide die Balkanregion unter Abwanderung, sei politisch instabil, Schuldenrisiken seien real. Dennoch werde das Land vom Euro kurzfristig profitieren – auch vom Schengen-Raum. Es könnte dank Schengen-Visum attraktiver für Studierende und Arbeitnehmer werden.
Industrie erhofft sich mehr Fachkräfte und geringere Kosten
Mehr Fachkräfte – die Končar-Gruppe aus Zagreb würde sich freuen. Der Traditionskonzern mit 3700 Mitarbeitern baut unter anderem Züge, Generatoren, aber auch Windräder, Solaranlagen, Kraftwerke. Vorstandsmitglied Božidar Poldrugač erklärt, dass man sehr gute Leute brauche.
Internationales Knowhow, Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg, weniger Kosten: Ein Großunternehmen wie Končar begrüßt den Euro-Schengen-Doppelschlag, auch wenn der EU-Beitritt 2013 noch wichtiger gewesen sei. Bei der Frage nach höheren Löhnen zeigt sich Poldrugač jedoch zurückhaltend. Schon jetzt zahle man für kroatische Verhältnisse gut – vieles hänge von der geopolitischen Lage ab.