Auf der einen Seite des Berliner Brandenburger Tors wurde am Samstag gefeiert: Anti-Atom-Aktivisten feierten den Sieg in einem 60 Jahre dauernden Kampf.
Auf der anderen Seite des Tores kam es zu Protesten, als Demonstranten gegen die Schließung der drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke marschierten.
Am Samstag um Mitternacht waren Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 alle offline.
Am Brandenburger Tor, wo einst die Mauer Berlin im Kalten Krieg teilte, ist die Atomenergie eine ideologische Bruchlinie, die das Land spaltet. Es ist ein Thema, das wie kaum ein anderes emotional aufgeladen ist. Und besonders jetzt, wo der Krieg in Europa erneut droht.
Beide Seiten werfen sich gegenseitig irrationale Ideologie vor.
Konservative Kommentatoren und Politiker sagen, dass das Land dem Dogma der Grünen unterworfen sei, das in einer Zeit, in der Kürzungen der russischen Energieversorgung zu steigenden Preisen führen, auf die heimische Atomkraft verzichtet. Sie werfen der Regierung vor, zunehmend auf fossile Brennstoffe zu setzen, anstatt auf Kernenergie zu setzen, die weniger Emissionen verursacht.
„Es ist ein schwarzer Tag für den Klimaschutz in Deutschland“, sagte Jens Spahn, konservativer CDU-Abgeordneter, Anfang der Woche im RTL-Fernsehen.
Grüne und Linke argumentieren, dass es unlogisch sei, an der Atomkraft festzuhalten, die teurer sei als Wind- oder Solarenergie. Die Regierung argumentiert, dass enorme Investitionen erforderlich wären, um die drei alternden Atomkraftwerke am Netz zu halten – Mittel, die in erneuerbare Energiequellen fließen sollten.
Es sei seltsam, dass die CDU sich plötzlich für den Klimaschutz stark macht, sagen die Grünen-Abgeordneten, da die Konservativen regelmäßig Maßnahmen zum Ausbau der Infrastruktur für erneuerbare Energien blockieren.
Ironischerweise war es angesichts des aktuellen Kampfes der CDU für Atomkraft eine konservativ geführte Regierung unter Angela Merkel, die nach der Atomkatastrophe von Fukushima 2011 den Ausstieg aus der Atomenergie beschloss. Ihre Entscheidung fand bei den Wählern Anklang, da die Katastrophe eine weitverbreitete Anti-Atomkraft-Stimmung ausgelöst hatte. Zyniker vermuten, dass die bevorstehenden wichtigen Regionalwahlen ihre Entscheidung beeinflusst haben könnten.
Heute bezieht Deutschland fast die Hälfte seines Stroms aus erneuerbaren Energien – 44 % im Jahr 2022 laut Statistischem Bundesamt – und lediglich 6 % aus Atomkraft. Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck prognostiziert, dass bis 2030 80 % des deutschen Stroms aus erneuerbaren Energien stammen werden, und hat Gesetze durchgesetzt, die den Bau von Solar- und Windparks schneller und einfacher machen sollen.
Doch im letzten Jahr stagnierte der Anteil erneuerbarer Energien, während die CO2-Emissionen zunahmen, da Deutschland gezwungen war, Flüssigerdgas (LNG) zu importieren und mehr Kohle anstelle von russischem Gas zu verwenden. Dies hat sogar einige grüne Wähler und Anti-Atom-Aktivisten dazu veranlasst, eine vorübergehende Verlängerung der Lebensdauer der letzten drei Atomkraftwerke zu befürworten.
In einem Artikel in der Freitagsausgabe des Tagesspiegels schrieb Grünen-Umweltministerin Steffi Lemke, dass Deutschland die Atomkraft abschalte, weil katastrophale Unfälle nie ausgeschlossen seien, „sei es durch menschliches Versagen wie Tschernobyl, Naturkatastrophen wie Fukushima …“ oder Angriffe, da die Ukraine unter dem Krieg Russlands leidet.“
Deutschland brauche keine Atomkraft, weil erneuerbare Energien sicherer, nachhaltiger, klimafreundlicher und wirtschaftlich sinnvoller seien.
Trotz Prognosen über Engpässe und Stromausfälle produziert Deutschland mehr Energie, als es benötigt, und exportiert im Sommer Energie nach Frankreich, weisen die Grünen-Chefs ausdrücklich darauf hin, wo Atomkraftwerke aufgrund extremer Wetterbedingungen nicht betrieben werden konnten.
Die Wähler sind gespalten. Laut der ARD-DeutschlandTrend-Umfrage dieser Woche sind 59 % der Deutschen gegen den Ausstieg aus der Atomenergie, nur 34 % sind dafür. Die Unterstützung für Atomenergie ist bei älteren und konservativen Wählern am stärksten.
Bei genauerer Befragung ergibt sich jedoch ein differenziertes Bild. In einer YouGov-Umfrage Anfang dieser Woche sprachen sich 65 % dafür aus, die drei verbleibenden Kernkraftwerke vorerst am Laufen zu halten. Aber nur 33 % wollten, dass Deutschland auf unbestimmte Zeit an der Atomkraft festhält. Mit anderen Worten: Den Stecker ziehen – aber noch nicht ganz.
Am Donnerstag besuchte der bayerische Parteichef Markus Söder Isar 2 und forderte Deutschland auf, nicht nur die letzten drei Reaktoren am Netz zu halten, sondern auch alte Kraftwerke zu reaktivieren – darunter eines, das er in Bayern abgeschaltet hatte.
Unterdessen rebellierte Christian Lindner, Finanzminister und Chef der liberalen FDP-Partei, die zur Dreierkoalition von Olaf Scholz gehört, diese Woche erneut gegen die offizielle Linie der Regierung und forderte, dass die drei Kraftwerke in Reserve bleiben sollen. Beide Staats- und Regierungschefs wissen, dass solche Ideen zum jetzigen Zeitpunkt technologisch, rechtlich und finanziell unplausibel sind. Aber sie sehen in den Umfragen politisches Kapital in der Frage, ob die Reaktoren tatsächlich da sind oder nicht.
Die Grünen, die ihre Wurzeln in der Anti-Atomkraft-Bewegung der 1970er Jahre haben, feiern dieses Wochenende. Doch die Partei erkennt, dass ihre politischen Gegner bereit sind, ihr die Schuld für künftige Energieausfälle, Preiserhöhungen oder verfehlte CO2-Ziele zuzuschieben. Die deutsche Atomkraft wird weg sein. Aber politisch bleibt Atomkraft brisant.