Auf den designierten Verteidigungsminister Pistorius warten in EU und NATO große Aufgaben – und viel Zeit zur Einarbeitung bleibt ihm nicht. Im Vordergrund steht die drängende Frage nach Panzerlieferungen an die Ukraine.
Es könnte sein, dass heute schon aus dem Europäischen Parlament ein Auftrag für Boris Pistorius kommt, noch bevor er seine Ernennungsurkunde erhält. Mehrere Fraktionen wollen einen Antrag durchsetzen, der die Bundesregierung auffordert, “Leopard-2”-Panzer an die Ukraine zu liefern. “Ohne weitere Verzögerung”, so heißt es wörtlich in dem Text. Und: Deutschland solle ein europäisches Konsortium mit Ländern zustande bringen, die auch über “Leopard-2”-Panzer verfügen.
Besonders pikant ist, dass ein deutscher Grünen-Politiker den Antrag mit angestoßen hat: Reinhold Bütikofer, Elder Statesman der deutschen Gruppe und einflussreicher Außenpolitiker.
Für Bütikofer geht es um mehr als um Panzerlieferungen. Er sieht die europäische Haltung gegenüber der Ukraine als eine von mehreren Herausforderungen, die über das künftige Standing der EU in der Weltpolitik entscheiden. “Für die EU entscheiden die kommenden sieben Jahre, ob wir mit am Tisch sitzen oder auf der Speisekarte stehen”, erklärte er am Abend in einer außenpolitischen Grundsatzdebatte im Europaparlament in Straßburg. “Es reicht nicht aus, Alliierter zu sein, wir müssen starke Alliierte sein.”
Weniger begeistert von Bütikofers Antrag sind die deutschen Sozialdemokraten im Europaparlament. Sie halten wenig von der Idee, der eigenen Regierungskoalition in Berlin Druck aus Brüssel zu machen. Den neuen Verteidigungsminister Pistorius dürfte das beruhigen. Die Mehrheit der SPD-Politiker jedenfalls werde gegen den Antrag stimmen, kündigte ihr außenpolitischer Sprecher, Dietmar Köster, im Gespräch mit dem ARD-Studio Brüssel an.
Anders könnte das bei den Liberalen aussehen. “Alle Augen richten sich auf die deutschen Leoparden”, konstatiert die Französin Nathalie Loiseau in der Debatte über die Außenpolitik der EU, “man möchte hoffen, dass in Berlin dazu starke Entscheidungen getroffen werden.”
Herausforderungen im Verhältnis zu Frankreich
Die Stimme der Französin hat Gewicht in Brüssel, sie ist eine enge Vertraute von Staatspräsident Emmanuel Macron. Dessen Verteidigungsminsiter Sébastien Lecornu gehörte gestern auf Twitter zu den ersten Gratulanten von Pistorius, er freue sich auf die “Stärkung der Zusammenarbeit” schrieb der Franzose. Was im Klartext so viel bedeutet wie: Die Zusammenarbeit könnte besser werden. Auch da warten Herausforderungen auf Pistorius.
Viel Zeit zur Einarbeitung bleibt ihm nicht – ein paar Stunden nur, denn Donnerstag schon steht hoher Besuch an, vom größten und wichtigsten NATO-Partner: Amerikas Verteidigungsminister Lloyd Austin kommt. Es wird um die Frage gehen, ob man in der NATO eine gemeinsame Linie bei dem umstrittenen Thema von Kampfpanzern für die Ukraine hinbekommt.
Sicher ist das nicht. Großbritannien hat dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als erstes Land moderne Kampfpanzer versprochen, 14 Challenger, mit der Zusage für ein Training der ukrainischen Soldaten. Und mit Polen und Finnland haben sich die ersten beiden Länder für die Lieferung von “Leopard”-Panzern ausgesprochen – alle anderen aber halten sich bisher zurück.
Und Washington? Schickt der Ukraine wie Deutschland bisher Schützenpanzer, aber keine schwereren Kampfpanzer. Theoretisch käme der Typ “Abrams” in Frage, aber praktisch gibt es nach Berichten amerikanischer Medien Bedenken. Genannt wird vor allem der spezielle Treibstoff, den der “Abrams” brauche und den man schlecht in großen Mengen über den Atlantik bringen könne.
Was aber bedeutet die amerikanische Zurückhaltung, wenn der deutsche Bundeskanzler seine Entscheidung von der Einbettung in eine gemeinsame alliierte Aktion abhängig macht – mit amerikanischer Beteiligung? Die Frage dürfte beim Gespräch des US-Verteidigungsministers mit seinem neuen deutschen Kollegen ganz oben auf der Tagesordnung stehen.
Mit Spannung erwartetes Treffen in Ramstein
Denn beide können davon ausgehen, dass die heikle Frage einen Tag später ohnehin im ganz großen Kreis gestellt werden wird. In Ramstein, auf dem amerikanischen Luftwaffenstützpunkt in Rheinland-Pfalz, wo die NATO-Partner zusammen mit weiteren internationalen Unterstützern der Ukraine-Kontaktgruppe über die weitere Militärhilfe für das Land beraten.
Dabei ist offen, wie viele Länder bereit sind, mit der Lieferung von modernen Kampfpanzern einen weiteren Schritt der militärischen Eskalation zu gehen. In der Erwartung, dass schwerere westliche Waffen die Wende im festgefahrenen Krieg bringen. Offen ist auch, ob Deutschland dann offiziell aufgefordert wird, grünes Licht für die Lieferung der “Leopard”-Panzer zu geben.
Keine leichte Premiere für den neuen deutschen Verteidigungsminister auf dem internationalen Parkett.