Seit 1993 gibt es den Europäischen Binnenmarkt, einen mächtigen Wirtschaftsblock mit fast 500 Millionen Menschen und einem BIP von 15 Billionen Euro. Doch ob bei der Corona-Krise oder der Energiekrise – Schwächen zeigen sich immer wieder.
Fast 500 Millionen Menschen, 24 Amtssprachen; die 27 EU-Mitgliedsstaaten plus Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz; ein gemeinsames Bruttoinlandsprodukt in Höhe von mehr als 15 Billionen Euro – kurz, ein gemeinsamer und einheitlicher Wirtschaftsraum, der nach den USA und China der drittgrößte auf diesem Globus ist: Das ist der Europäische Binnenmarkt.
Es ist ein Wirtschaftsblock mit erheblichem Einfluss, und das, ohne ein eigener Staat zu sein – etwas, was sich so auf der Welt sonst nirgends findet. Die Idee dazu findet sich bereits in den Römischen Verträgen, mit denen im Jahr 1957 Deutschland, Frankreich, Belgien, die Niederlande, Luxemburg und Italien den Grundstein für die Europäische Union legten.
Weichen wurden 1987 gestellt
Mit der Einheitlichen Europäischen Akte, die 30 Jahre später in Luxemburg unterzeichnet wurde, war der entscheidende Schritt zum tatsächlichen Binnenmarkt gemacht. Denn mit ihr wurde die Schaffung des Europäischen Binnenmarktes bis zum Ende des Jahres 1992 beschlossen. Der niederländische Außenminister van den Broek sagte damals:
Zum ersten Mal regelt eine gemeinsame Akte auf einmal die Entwicklung unserer Gemeinschaft und ihrer gemeinsamen Politik. Das erlaubt uns, unsere Wirtschaft und unsere Politik gemeinsam weiter zu entwickeln – und vermindert auf diese Weise das Risiko eines Bruchs unserer gemeinsamen Institutionen.
Auf Dauer verbindend
Der Staatenbund der Europäischen Union sollte damit etwas bekommen, was ihn auf Dauer und verbindlich zusammenhält. Der gemeinsame Markt, der so seit dem 1. Januar 1993 exisitiert, ist dafür seitdem ein Schlüssel gewesen.
Denn von den offenen Grenzen und den sogenannten vier Grundfreiheiten profitieren seitdem alle Mitgliedsstaaten und ihr Bevölkerungen: Es ist der freie Personenverkehr ohne Grenzkontrollen, der freie Warenverkehr und der freie Austausch von Geld und Kapital so wie jener für Dienstleistungen.
“Mutter der Integration”
Der EU-Binnenmarkt ist Mutter der europäischen Integration und macht es möglich, dass Unternehmen ihre Produkte in ganz Europa verkaufen dürfen, dass wir als Bürgerinnen und Bürger überall arbeiten können, aber auch, dass wir als Verbraucher die höchsten Standards und den höchsten Schutz überall auf der Welt haben
sagt die grüne Europaparlamentarierin Anna Cavazzini.
Sie ist Vorsitzende des Binnenmarkt-Ausschusses im EU-Parlament und überzeugt davon, dass dieser Mark allen Menschen in Europa tatsächlich handfeste Vorteile bietet. Hohe Verbraucherschutzvorschriften, etwa bei der Lebensmittel- oder Arzneimittelsicherheit seien dabei das eine, ein verbessertes Produktangebot das andere. Für das Lebensgefühl wichtig seien auch die offenen Grenzen.
Nicht immer reibungslos
Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung hat errechnet, dass der Binnenmarkt jeder Bürgerin und jedem Bürger in Deutschland jährlich einen Einkommensvorteil in Höhe von rund 1000 Euro bringt. Überprüfen lässt sich das kaum, aber im EU-Parlament sagen viele: Wer sehen wolle, ob es ohne Binnenmarkt besser sei, der könne sich ja einfach das Beispiel Großbritannien und den Brexit anschauen.
Richtig ist: Noch nicht immer und nicht überall funktioniert der Binnenmarkt reibungslos. Das zeigt sich derzeit etwa an der Energiekrise: Einen gemeinsamen europäischen Strom- oder Gasmarkt gibt es nicht, die Versorgung in allen Mitgliedsstaaten zu sichern ist ein massiver Kraftakt.
Und in der Corona-Krise haben viele Staaten ihre Grenzen geschlossen. Es hätte nicht viel gefehlt und Europas wichtigstes Fundament wäre eingestürzt. Das ist Vergangenheit.
Suche nach Antwort auf amerikanische Bedrohung
Heute sieht EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton den gemeinsamen Markt vor allem durch die USA bedroht, weil die Regierung unter Joe Biden in Washington US-Unternehmen mit 400 Milliarden Dollar subventionieren will. Europa müsse darauf schnellstens eine Antwort finden, verlangt Breton, um im internationalen Wettbewerb nicht auf der Strecke zu bleiben.
In Brüssel heißt es, die Kommission dränge auf ein neues europäisches und schuldenfinanziertes Investitionsprogramm als Antwort auf das “Anti Inflation Act“ gennante Gesetz der USA. In Südeuropa findet man diese Idee hochattraktiv, in Nordeuropa schaut man eher zurückhaltend darauf.
Und nicht zuletzt Deutschland hat sich bisher ausdrücklich gegen weitere gemeinsame europäische Schulden ausgesprochen. Doch die Stabilität des Binnenmarktes wird am Ende niemand in der EU aufs Spiel setzen wollen. Auch wenn der Preis dafür sehr hoch erscheinen mag.