Streicht die EU wie angedroht Ungarn Milliarden Euro Fördergelder, droht dem Land ein gewaltiger Modernisierungsstau. Die Energiewende geriete ins Stocken, Investitionen in Bildung würden wegfallen.
Ungarns U-Bahn ist die älteste auf dem europäischen Festland – und auf manchen Linien überaus reparaturbedürftig. Da kämen EU-Fördergelder wie gerufen – doch die bleiben jetzt erst einmal eingefroren. Auch für weitere Projekte dürfte das Geld erstmal fehlen.
Kata Tüttö, die Budapester Vize-Bürgermeisterin, zuständig für den Nahverkehr und einiges mehr, zählt auf, was noch alles dringend gemacht werden müsste: “Alles hängt mit der Energiewende zusammen, auch mit dem Kampf gegen die Energiekrise. Wir wollen die Kapazität von Solaranlagen ausbauen. Wir planen eine Energieagentur. Nicht nur für die öffentlichen Gebäude, auch für viele Wohngebäude. Das ist sehr wichtig.”
Die Fassaden bröckeln sichtbar in der stolzen Hauptstadt Budapest. Mit gedämmten Fassaden und Fenstern Energie sparen? Fehlanzeige.
Modernisierungsstau befürchtet
Der Modernisierungsbedarf ist groß. Was genau in Ungarn weggespart wird, wenn die fest eingeplanten 7,5 Milliarden aus dem Gemeinschaftshaushalt fehlen, lässt sich nicht so genau sagen. Viele Projekte sind angedacht, wie von Tüttö aufgezählt. Es wird einen gewaltigen Stau geben. Der ungarische Staat wird die Lücke nicht aus eigener Kraft schließen können.
Gerüchte, Ungarn würde in den Staatsbankrott schlittern ohne die EU-Milliarden, hat der Kanzleramtsminister von Präsident Viktor Orban, Gergely Gulyás, schon vor zwei Monaten empört zurückgewiesen. Ökonomen wie der EU-Experte und Wirtschaftswissenschaftler Zoltán Pogácsa, der an Ungarns größter Universität unterrichtet, gaben ihm damals auch recht. Das sei eine “bedeutende Summe”, so Pogácsa: “Aber nur deswegen gibt es keinen Staatsbankrott in Ungarn. Auch dann nicht, wenn die ganze Summe entzogen wird.”
7,5 Milliarden Euro, das wäre rund ein Drittel der 22,5 Milliarden Euro, die Ungarn im Zeitraum von 2021 bis 2027 aus dem sogenannten EU-Kohäsionsfonds beansprucht. Ungarn ist damit – im Vergleich der Bevölkerungszahlen – einer der größten Netto-Geld-Empfänger der EU.
Preisdeckel auf Benzin und Grundnahrungsmittel
Der Streit mit der EU schadet Ungarn aber an anderer Stelle. Die ungarische Währung, der Forint, ist nicht mehr weit entfernt von seinem Allzeittief – im Vergleich zum Euro. Für die Ungarn wird alles seit Monaten spürbar teurer. Bei Benzin und einigen Grundnahrungsmitteln musste die Regierung schon einen Preisdeckel verordnen. Mit einer Durchschnittsinflationsrate von mehr als 15 Prozent in diesem Jahr, so die Prognosen, wäre der Wertverfall fast doppelt so hoch wie im Durchschnitt der ganzen EU. Aktuell liegt die Inflationsrate bei 21,1 Prozent.
Die EU-Milliarden würden in “harten” Euro ausgezahlt, auch das ist wichtig, wie Pogácsa erklärt: “Ungarn importiert vieles, unter anderem Energie.” Mit den EU-Milliarden hätte Ungarn “einen Zugang zu Euros, den wir normalerweise nicht schaffen”. Wegen der schwachen Landeswährung Forint.
Der Wirtschaftsprofessor nannte das Gezerre ein “Schauspiel”, politisches Kräftemessen. Dazu gehört wohl, dass die versprochene Zehn-Prozent-Gehaltserhöhung für die ungarischen Lehrerinnen und Lehrer vor kurzem mit dem Hinweis verknüpft wurde: “Wenn die EU-Förderung fließt.” Gulyás hat das nach dem EU-Votum noch einmal wiederholt.
Zehntausende, Lehrkräfte und ihre Schülerinnen und Schüler, hatten in den vergangenen Wochen demonstriert und die Regierung Orbán unter Druck gesetzt, nicht nur wegen des Geldes. Fakt aber ist, dass die Lohnerhöhung für die Pädagogen nichts mit den strittigen 7,5 Milliarden zu tun hat, sondern mit einem anderen Programm (EFOP Plus), einem Extra-Topf für die Förderung unter anderem von “öffentlicher Bildung”. Der ist zwar eigentlich nicht für Löhne und Gehälter gedacht, aber im Fall Ungarn hat die EU-Kommission zugestimmt, wegen der prekären Lage der Pädagogen.